Guter Rat

In meiner rein freiberuflichen Zeit und auch parallel zu meiner nicht-Vollzeit-Professur bestand eines meiner wichtigsten Arbeitsfelder darin, Kolleginnen und Kollegen aus dem Chorbereich auf unterschiedlichstem Level und in unterschiedlichsten „Lebenslagen“ mit Rat zur Seite zu stehen. Dies ist aufgrund meiner Auslastung hier in Wernigerode fast, aber doch nicht ganz zum Erliegen gekommen und ich vermisse es sehr. Warum? Weil ich heute in einem der seit 9/2021 so seltenen Fälle wieder wie damals so oft eine wunderbare Rückmeldung zu einem der schwierigsten Punkte bekommen habe, die einem in der Chorleitung begegnen können: Eine junge Kollegin hat einen engagierten (!) Tenor (!) in ihrem Laienchor, der aber leider große Probleme hat, seine Stimme zu halten, und neben dem deshalb mittlerweile niemand mehr singen kann/möchte. Wie spricht man das an? Welche Zielsetzung liegt solch einem Gespräch zugrunde? Wie verletze ich nicht und ziehe doch klare Grenzen? Wie wichtig sind im Verhältnis Schutz des Einzelnen und Schutz (der Qualität) der Gemeinschaft? Sehr komplex und kommunikationstechnisch gerade für junge Kolleg/-innen eine immense Herausforderung. Die Whatsappnachricht, die hier vor mir liegt, zeigt vollen Erfolg: das nächste Konzert ist gesichert (er pausiert) und danach sucht man nach entweder einer Lösung des Problems als Basis für weiteres Mitsingen oder man trennt sich im guten Einvernehmen, weil erwachsen und sachlich differenzierend im Gespräch.

Chorleitungsunterricht

Ein sehr schöner Teil meiner Tätigkeit am Landesgymnasium für Musik in Wernigerode ist der Chorleitungsunterricht. In diesem Schuljahr unterrichte ich einen Kurs von sehr engagierten und begabten Schüler:innen des Jahrgangs 11. Im Jahrgang 10 sieht der hausinterne Lehrplan vor, zunächst technische Grundlagen im Dirigieren zu vermitteln. Ich bin in meiner Klasse davon etwas abgewichen und habe auch und vor allem die Freude an der Verbindung von Musik und eigener Bewegung in den Mittelpunkt gestellt. Meine doch lange Hochschulerfahrung hat mir gezeigt: diejenigen Schüler:innen, die nicht sofort „eins sind“ mit ihrer Dirigierbewegung, sind nicht etwas „unbegabt“ oder unbeholfen, sondern sie brauchen für den Lernprozess vor allem Vertrauen in die Entwicklung und Freude am Lösen von gefühlten Hemmnissen. Dies kann am besten über Musik geschehen und es gelingt, wenn nicht der Kopf regiert und der Wille zur Kontrolle weitere Blockaden aufbaut. Im Qigong gibt es den wunderbaren Satz „Jede Bewegung ist richtig, denn es ist deine Bewegung!“. Im Grunde genommen basiert mein Anfängerunterricht genau auf dieser Prämisse: Wer sich wohlfühlt in seinem Körper und mit seiner Bewegung, kann nach und nach Veränderungen zunächst erfühlen und dann auch bewusst steuernd erzielen. Als Lehrer staune ich – wie auch am letzten Freitag wieder – über die Schönheit der Bewegungen dieser jungen Menschen. Die darf ich ihnen nicht nehmen, das ist wichtiger Teil meiner Verantwortung.