Kinder- und Jugendchorleitung für eine international besetzte Chordirigentenklasse

Tolle Arbeit hier in Helsinki, tolle Leute! Die hervorragende Chorleitungsklasse meines Kollegen Nils Schweckendieck besteht aus Studierenden natürlich aus Finnland, aber auch aus Israel, Estland, Liechtenstein und Schweden. Alleine die Idee, mich hierher einzuladen und drei Tage lang zum Thema Kinder- und Jugendchorleitung zu arbeiten, finde ich phantastisch. Denn das Ziel dieser jungen Leute ist professionelle Chorarbeit auf höchstem Niveau, die sie wöchentlich zweimal mit einem Profiensemble trainieren dürfen. Da geht es um dirigentische Höchstleistungen, um Feinheiten der Interpretation und bei diesem Professor auch speziell um zeitgenössische Werke höchsten Ranges und Schwierigkeitsgrades.

Aber: sie lassen sich alle in eine bemerkenswerten Offenheit darauf ein, sich dem Thema Kinder und Jugend zu öffnen. Ich habe den Eindruck, dass sie alle verstehen: es gibt keine professionelle Szene ohne einen breiten und möglichst fachlich fundierten Unterbau – es gibt übermorgen weder Profichorsänger noch Publikum für Profichöre, wenn nicht von allen Seiten eine von Kindesbeinen an intensive vokal-musikalische Sozialisation erfolgt. Und sie spüren in unseren praktischen Übungen, dass die Aufgaben, die ich ihnen als Dirigent_innen stelle, nicht einfacher sind als ihr täglich Chordirigentenbrot. Regelmäßig kommen von ihnen selbst und besonders auch in den Pausengesprächen mit meinem Kollegen die Anmerkungen,  wie wichtig und gut übertragbar die psychosozialen, gruppendynamischen und pädagogischen Faktoren auch auf die Arbeit mit Erwachsenen sind.

Mich beeindruckt diese Offenheit und dieser Weitblick, die Arbeit macht große Freude und zeigt mir, dass auch andere die vermeintliche Kluft zwischen Basis und Spitze schließen wollen; nicht im Sinne von Gleichmacherei oder Anbiederung, sondern durch ernsthafte, wertschätzende und bestärkende künstlerische Arbeit.

Am Mittwoch fliege ich zurück nach Deutschland… da ist das dann… wieder anders 🙂

Eine Zumutung!

IC 2384 auf dem Weg von Leipzig nach Berlin Tegel, von dort heute Abend nach Helsinki. Nein, nicht der Zug oder die Bahn an sich sind eine Zumutung, sondern der Eindruck, der sich aus den Vorträgen des 14. Leipziger Symposiums zur Kinder- und Jugendstimme bei mir festgesetzt hat, ist: Es ist unglaublich, was wir all denen zumuten, die Hauptverantwortung für unsere Zukunft tragen!

Beeindruckende Statistiken und Messergebnisse – nichts Gefühltes zur Lärmbelastung von Erzieherinnen in Kindertagesstätten: im Durchschnitt über eine Woche ergibt sich ein Lautstärkepegel von zwischen 70 und 80/85 db. Wie wir gelernt haben, beginnt die hörschädigende Wirkung bei genau diesen 85 db. In der Spitze sind es dann bis zu 117 db und das ist mit dem Lärm eines startenden Flugzeugs vergleichbar.

Schallmessungen in Klassenräumen an Schulen sind nur etwas besser, immerhin werden hier diese Obergrenzen im Mittel seltener erreicht. Aber dann hört man von den raumakustisch meist verheerenden Voraussetzungen, die wieder um, auch wenn der Störlärm nicht so groß ist, die stimmliche Arbeit so schwer machen, dass viele Studien belegen: sobald der Eintritt in den Lehrerberuf erfolgt, nehmen Stimmerkrankungen und Stimmprobleme rapide zu.

Von Hilfen, therapeutischen wie technischen (hoch interessant!) war die Rede, auch eine ökonomische Rechnung wurde aufgemacht, was nicht oder zu spät erkannte und behandelte Stimmprobleme bei Pädagogen an Kosten verursachen und was damit Sinnvolles finanziert werden könnte. Prävention ist also das große Stichwort – auch in Form von Tauglichkeitstests, die explizit keine Eignungstests für den Lehrberuf sein dürfen und können. Stimm- und Sprecherziehung verpflichtend in jeder Erzieherinnenausbildung und jedem Lehramtsstudium ist eine weitere logische Folgerung.

Die Vermeidung von Erkrankung und Leidensdruck bei den Betroffenen würde ja als Begründung für solche Maßnahmen ausreichen. Aber es geht weiter: wiederum lässt sich wissenschaftlich belegen, dass eine geschädigte und damit eingeschränkte Stimme einer Pädagogin/eines Pädagogen häufig zu psychischen Belastungen wenn nicht Erkrankungen führt. Burn-out durch Heiserkeit – überspitzt, aber nicht weit hergeholt, denn man schickt niemanden in eine Aufgabe, die er aus körperlichen Gründen nicht bewältigen kann.

Das letzte Glied in der Kette sind die Kinder und Jugendlichen. Erschreckend wird die ganze Thematik dann nämlich vollends, wenn man den Einfluss geschädigter Lehrerstimmen auf Lern- und Konzentrationsleistung der Kinder sieht oder wenn man die Lesekenntnisse von Schülern im Gebiet eines Flughafens mit denen aus ruhigeren Stadtgebieten vergleicht.

Da wäre vieles leicht zu ändern, manches mit etwas mehr Aufwand, aber nichts ist so teuer wie der Schaden, der auf allen Seiten angerichtet wird. Wer hat sich das in Leipzig angehört? Mediziner, Musiker, Pädagogen, die ein weiteres Mal für dieses Thema sensibilisiert wurden und neue Argumente für bekannte Phänomene an die Hand bekommen haben.

Verantwortliche wie öffentliche Bauherren, Schulaufwandsträger, Architekten, Kultusbeamte oder Politiker? Nein, die haben uns nicht gehört. Leider.