Gemeinsam lernen – immer wieder neu

Durch den für mich völlig unerwarteten Umstand, dass bei der Crowdfunding-Aktion von vox animata überraschend viele Menschen ein Coaching oder eine Schnupperstunde bei mir gebucht haben, bin ich derzeit viel unterwegs, um diese schönen Engagements abzuarbeiten. Was sich dann im Einzelnen hinter diesem Modewort „Coaching“ verbirgt, ist facettenreich und jedes Mal wertvoll – für mich auf alle Fälle, für meine Gegenüber hoffentlich ebenso.

Diesmal reicht die Palette von der Kirchgängerin, die meine Stimme angenehm findet und selber entspannter und befreiter im Gottesdienst mitsingen möchte, bis hin zum ambitionierten Vokalensemble, das sich auf einen Wettbewerb vorbereitet. Der junge nebenamtliche Kirchenmusiker, der seine Kirchenchöre (ja, ganz „einfache“ Kirchenchöre) durch bessere Stimmbildung und zielgerichtete Probenarbeit voranbringen möchte, steht in einer Reihe mit der arrivierten Kollegin, die sich in einer beruflichen Sackgasse befindet und neue Inspiration sucht und vertrauensvollen Austausch braucht. Diese ganzen wertvollen musikalischen, fachlichen und nicht zuletzt menschlichen Begegnungen bereichern mich so sehr, dass ich dieser Tätigkeit tatsächlich nie überdrüssig werde. Der entscheidende Unterschied zu mancher Hochschulsitzung: wer Rat und Hilfe sucht, ist offen und im besten Sinne „hungrig“; auf diesen Boden fällt der Same Unterricht in fruchtbaren Grund und lässt Wachsen und Gedeihen zu.

Heute also war es das vorvorletzte via Startnext gebuchte Coaching und ich durfte mit dem Kammerchor ars vivendi ein wunderschönes und sehr intensives, dabei aber immer heiteres und beschwingtes halbes Wochenende verbringen. Wernigerode trage ich also nicht nur nach einem herrlichen Sonnenuntergang (siehe Bild) im Herzen und werde gerne immer und immer wieder hier her zurück kommen.

Ein Traum wird wahr

Seit vielen Jahren habe ich den Wunsch, Hugo Distlers Weihnachtsgeschichte op. 10 nicht nur im Konzert zu musizieren, sondern sie auch aufzunehmen. Dem Kollegen und Freund und seinem Vertrauen sei Dank: heute geht es los. Warum mir dieses Werk so sehr am Herzen liegt und wie ich es in andere Chorwerke einbetten möchte, erläutert dieser Text zu einem Programmheft 2016 ganz gut – leider hat der aktuelle Bezug nach einem Jahr an Bedeutung eher gewonnen.

„Gewidmet dem Volk, das im Finstern wandelt“

 1933 schreibt Hugo Distler diese Widmung über seine „Weihnachtsgeschichte“ op. 10. Dunkle Zeiten, wahrlich dunkle Zeiten brechen da gerade an – für Deutschland insgesamt und für Distler persönlich sowie als Künstler. Sicher aber hat damals eine große Zahl an Menschen das Gegenteil empfunden: was da heraufzog, war für sie ein aufscheinendes Licht und durchaus ein Hoffnungsschimmer. Für uns im Rückblick sollte es die finsterste Epoche unserer Geschichte werden.

 Die Wahrnehmung von Licht und Dunkel unterscheidet sich oft diametral, wenn es um gesellschaftliche, gar um politische Belange geht. Vielleicht ist dies aber das Geheimnis von Weihnachten, das die Menschheit nun über Jahrtausende zu faszinieren vermochte: wenn es ans Existenzielle geht, dann sieht jede und jeder das Licht doch recht ähnlich. Die Sehnsucht nach innerem und äußerem Frieden, die Sehnsucht nach bedingungsloser Liebe und die Sehnsucht nach Heimat im tieferen Sinn wohnt jedem Menschen inne und das kleine Kind in der Krippe erfüllt diese Sehnsucht mit Nähe, Wärme und eben Licht in der Nacht. Am unmittelbarsten scheint das Thema „Licht“ in unserem Programm im Werk „Lux aurumque“ des amerikanischen Komponisten Eric Withacre.

 Ein Geheimnis, das Dunkel durch Licht zu vertreiben vermag – diesem wollen wir uns mit einem für die landläufige Vorstellung von „Weihnachten“ eher ungewöhnlichen Programm annähern. Die Erzählung der Weihnachtsgeschichte wird bei Distler umrahmt von den Chören, die sowohl textlich wie auch musikalisch die beschriebenen Sehnsüchte wunderbar auszudrücken vermögen. Eingestreut ist eines der schönsten, geheimnisvollsten deutschen Weihnachtslieder in 8 Variationen: „Es ist ein Ros entsprungen“. A-cappella-Kompositionen zum Thema „O magnum mysterium“ aus verschiedenen Jahrhunderten deuten dies Geheimnis auf verschiedene Weise und Max Reger schließlich vertonte in seinem op. 138 den uralten, ebenfalls ein Traumgeheimnis deutenden Text des „Unser lieben Frauen Traum“. In allem wird die Nähe von Weihnachten und Kreuz, von Licht und Finsternis, der ewige Widerstreit im und zwischen Menschen hör- und fühlbar.

 „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn hingab. Auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen.“. Das ist der Schluss der Distler’schen Weihnachtsgeschichte – das ist das Geheimnis von Weihnachten. Wünschen wir allen im Licht und allen im Dunkeln – einfach allen – Frieden auf Erden, auf dass niemand verloren gehe!