IC 2384 auf dem Weg von Leipzig nach Berlin Tegel, von dort heute Abend nach Helsinki. Nein, nicht der Zug oder die Bahn an sich sind eine Zumutung, sondern der Eindruck, der sich aus den Vorträgen des 14. Leipziger Symposiums zur Kinder- und Jugendstimme bei mir festgesetzt hat, ist: Es ist unglaublich, was wir all denen zumuten, die Hauptverantwortung für unsere Zukunft tragen!
Beeindruckende Statistiken und Messergebnisse – nichts Gefühltes zur Lärmbelastung von Erzieherinnen in Kindertagesstätten: im Durchschnitt über eine Woche ergibt sich ein Lautstärkepegel von zwischen 70 und 80/85 db. Wie wir gelernt haben, beginnt die hörschädigende Wirkung bei genau diesen 85 db. In der Spitze sind es dann bis zu 117 db und das ist mit dem Lärm eines startenden Flugzeugs vergleichbar.
Schallmessungen in Klassenräumen an Schulen sind nur etwas besser, immerhin werden hier diese Obergrenzen im Mittel seltener erreicht. Aber dann hört man von den raumakustisch meist verheerenden Voraussetzungen, die wieder um, auch wenn der Störlärm nicht so groß ist, die stimmliche Arbeit so schwer machen, dass viele Studien belegen: sobald der Eintritt in den Lehrerberuf erfolgt, nehmen Stimmerkrankungen und Stimmprobleme rapide zu.
Von Hilfen, therapeutischen wie technischen (hoch interessant!) war die Rede, auch eine ökonomische Rechnung wurde aufgemacht, was nicht oder zu spät erkannte und behandelte Stimmprobleme bei Pädagogen an Kosten verursachen und was damit Sinnvolles finanziert werden könnte. Prävention ist also das große Stichwort – auch in Form von Tauglichkeitstests, die explizit keine Eignungstests für den Lehrberuf sein dürfen und können. Stimm- und Sprecherziehung verpflichtend in jeder Erzieherinnenausbildung und jedem Lehramtsstudium ist eine weitere logische Folgerung.
Die Vermeidung von Erkrankung und Leidensdruck bei den Betroffenen würde ja als Begründung für solche Maßnahmen ausreichen. Aber es geht weiter: wiederum lässt sich wissenschaftlich belegen, dass eine geschädigte und damit eingeschränkte Stimme einer Pädagogin/eines Pädagogen häufig zu psychischen Belastungen wenn nicht Erkrankungen führt. Burn-out durch Heiserkeit – überspitzt, aber nicht weit hergeholt, denn man schickt niemanden in eine Aufgabe, die er aus körperlichen Gründen nicht bewältigen kann.
Das letzte Glied in der Kette sind die Kinder und Jugendlichen. Erschreckend wird die ganze Thematik dann nämlich vollends, wenn man den Einfluss geschädigter Lehrerstimmen auf Lern- und Konzentrationsleistung der Kinder sieht oder wenn man die Lesekenntnisse von Schülern im Gebiet eines Flughafens mit denen aus ruhigeren Stadtgebieten vergleicht.
Da wäre vieles leicht zu ändern, manches mit etwas mehr Aufwand, aber nichts ist so teuer wie der Schaden, der auf allen Seiten angerichtet wird. Wer hat sich das in Leipzig angehört? Mediziner, Musiker, Pädagogen, die ein weiteres Mal für dieses Thema sensibilisiert wurden und neue Argumente für bekannte Phänomene an die Hand bekommen haben.
Verantwortliche wie öffentliche Bauherren, Schulaufwandsträger, Architekten, Kultusbeamte oder Politiker? Nein, die haben uns nicht gehört. Leider.
28. Februar 2016 um 21:14 Uhr
Eine erschreckende Bilanz – und die Ignoranz derer, die die Schlüssel zu Änderungen und Verbesserungen in der Hand haben. Aber alle mokieren sich über den hohen Krankenstand bei Lehrern und Erziehern.
Stimm- und Sprecherziehung war einmal verpflichtend an den Pädagogischen Hochschulen. Alles wurde „wegmodernisiert“ unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit der Lehrerausbildung. Mit unseren Mahnungen liefen wir gegen meterdicke Mauern. Es ist wirklich zum Heulen, was damit auch den Kindern angetan wird. Von dem wirtschaftlichen Schaden ganz abgesehen.
28. Februar 2016 um 22:48 Uhr
Erschreckend, ja! Ministerien geben Studien in Auftrag, die Ergebnisse wurden uns in Leipzig präsentiert, aber wo bleiben die Konsequenzen? Was geschieht nun? Wie können diese Ergebnisse verbreitet werden? Ein komisches Gefühl, mit dem ich nun wieder aus Leipzig zurückgekehrt bin. Morgen um 7:55 Uhr hat mich der Schulalltag wieder. Ich hoffe, ein wenig von dem Input des Wochenendes umsetzen zu können und vor allem „achtsam“ zu sein.
28. Februar 2016 um 22:58 Uhr
Es gab in meinem Studium nicht nur Stimm- und Sprecherziehung, sondern vor Studienbeginn auch die erwähnte Stimmtauglichkeitsprüfung durch einen HNO-Arzt. Wäre dieser Test ausschlaggebend gewesen, stünde ich heute nicht im Klassenzimmer. Insofern finde ich solche Tests als Anhaltspunkt gut, die Ausbildung der Stimme aber wesentlich wichtiger für „Sprechberufe“. Dafür sind meines Wissens jedoch die Hochschulen verantwortlich. Sie können entsprechende Module in das Curriculum aufnehmen.
29. Februar 2016 um 18:51 Uhr
Der beim Symposium geforderte Test bezieht sich ausdrücklich darauf, nur ganz extreme Ausnahmefälle tatsächlich von vorneherein von einem Lehramtsstudium auszuschließen. Vielmehr soll er je nach Ergebnis Anhaltspunkt oder auch Verpflichtung sein, vor oder spätestens mit Aufnahme des Studiums das vorhandene oder zu erwartende Problem anzugehen.
Je nach Bundesland liegt die Verantwortung für entsprechend verpflichtende Fächer sicher manchmal bei den Hochschulen, aber es müsste dem Anstellungsträger Staat so wichtig sein, dass er es ganz einfach (was er ja sonst auch ganz gut kann…) verordnet. „Können“ ist zu wenig – „müssen“ ist gefragt.
7. März 2016 um 21:45 Uhr
Ja, so sehe ich das auch. : 🙂