Wenig Aufwand – großer Nutzen

Auf Anregung eines neuen Chormitglieds habe ich heute erstmals eine Mail an den Chor geschickt, in der zum einen kurz aufgelistet ist, was wir gestern in der Probe mit welchem Schwerpunkt gearbeitet haben, und in der zum anderen angekündigt wird, was von den schwierigeren Stücken wir nächste Woche proben werden. So können diejenigen, die nicht zur Probe kommen konnten, nacharbeiten und sich je nach eigenen Möglichkeiten auf den aktuellen Stand bringen. Vor allem unerfahrene Sänger haben die Chance, entweder selber am Klavier oder in kleinen „Lerngruppen“ oder vielleicht auch nur lesend und Text absichernd die nächste Probe vorzubereiten. Damit lässt sich das Probentempo relativ hoch halten und man beginnt (gerade in Erkältungs- und damit ausfallträchtigen Zeiten wie jetzt) nicht jedes Mal von vorne. Den Einsteigern macht das Singen mehr Spaß und sie verkrampfen stimmlich nicht ganz so leicht, den alten Hasen muss man weniger zermürbend langsame Lernschritte zumuten. Ach ja: dem Chorleiter erleichtert es die Arbeit auch erheblich (und es zwingt ihn zu sauberer Nach- und Vorbereitung)! Das wäre dann also eine win-win-win-Situation.

Traum jedes Chorleiters: Sänger, die lesen können!

Es war in Wolfenbüttel in den 90er Jahren. Ich hatte an der Bundesakademie den legendären Kurs „Praxis der chorischen Stimmbildung“ bei Kurt Hofbauer gebucht und bin noch heute dankbar für die unzähligen Impulse, die ich von ihm bekommen habe. Das „Abendprogramm“ hatte ich in der Ausschreibung gar nicht richtig wahrgenommen und ging dann auch ein klein wenig genervt und eher skeptisch durch die abendlich-trübe, ausgestorbene Innenstadt von Wolfenbüttel ins Schloss zu Karl Heinz Schmitt, beinahe mehr aus Höflichkeit. Nach wenigen Minuten war klar, dass ich das nicht zu bereuen brauchte. Denn alleine der Unterhaltungswert dieser Veranstaltung in freundlich-zugewandter, dabei aber augenzwinkernd-ironischer Art hätte für die investierte Zeit entschädigt. Nach weiteren 20 Minuten jedoch war auch klar: dieser Mann ist hoch kompetent und weiß bei aller Lockerheit ganz genau, wie er zielgerichtet und mit Spaß klar strukturierte Inhalte vermitteln kann.

Es geht bei „Singen nach Noten“ (Schott ED 7396 und ED 7804) nicht nur um stupides Blattsingtraining. Am besten zitiere ich hier die ersten Worte der Einleitung zum Band 1 – besser kann man es nicht sagen:

2016-02-11 10.36.26„Das Lehrwerk „Singen nach Noten“ soll eine praktische Musiklehre sein und den Chorsänger in den Stand setzen, mit den Notenzeichen so umzugehen, wie er es einst mit den Schriftzeichen gelernt hat; er soll musikalisch lesen lernen und dabei sein Gehör entwickeln. Zugleich soll er aber auch den Wissensstoff erwerben und den Einblick in musikalische Zusammenhänge gewinnen, die in ihrem Zusammenwirken zu den Voraussetzungen für ein sinnvolles Musizieren gehören. Dabei muss ein wichtiger Grundsatz beobachtet werden: die Musiklehre ist eine Handwerkslehre; Können und Wissen sollen beim Musizierenden stets auf gleicher Augenhöhe gehalten werden.  … Der Chorleiter soll sich also davor hüten, zu viel zu reden, jede Einzelheit aus seiner eigenen umfassenden Schau darzustellen und sein ganzes persönliches Wissen auszubreiten. Wo dies geschieht, geht wertvolle Übungszeit verloren und es entsteht sehr bald ein Missverhältnis zwischen Wissen und Können, das der Musikausübung durchaus abträglich ist. Die Angesprochenen finden den Unterricht in solchen Fällen meist sehr „interessant“, können aber im Endeffekt zu wenig und werden dann wohl auch selbst zu jenen dem Musikleben so schädlichen Typen, die Handwerk durch Mundwerk ersetzen. …“

Eine umfassende Musiklehre also ist es, orientiert stets an dem, was die Chorpraxis braucht und was nach Verstehen auch angewendet werden kann. Wenn ich mich jetzt wieder auf den Kurs am Samstag in Deuerling (Anmeldungen siehe „Veranstaltungen“ auf dieser Seite noch möglich) vorbereite, stellt sich sofort wieder die Faszination für diese Methode ein. Die Erklärungen und Handlungsanweisungen sind so klar und von soviel Erfahrung geprägt, dass man unmittelbar in die Umsetzung einsteigen kann. Dennoch bin ich sehr dankbar, dass ich Karl Heinz Schmitt selber zweimal erleben dufte; wie so oft übersteigt das lebendige Vorbild die Wirkung eines auch noch so guten Buches.

Ich habe mich gerade entschlossen, diesmal die Systematik mit der Kodalý-Rhythmussprache zu verbinden. So erhoffe ich mir eine Verbindung zu den Kenntnissen, die meine Kinderchor-Ehemaligen noch durch die Kölner Chorschule haben; außerdem wird diese Rhythmussprache meiner Erfahrung nach an Klarheit und Plausibilität von keiner anderen erreicht.

Ob die zwei Studierenden, die vor ein paar Jahren unter der Überschrift „Lernen durch Lehren“ an der HfMT Köln einen Kurs für Studierende hierzu angeboten haben, dies hier lesen und sich erinnern? Eine meine nicht nur sehr heiteren sondern auch sehr guten Erfahrungen als Hochschullehrer! Und man hat gesehen, dass Vermittlungskompetenz nicht angeboren sondern in vielen Punkten lehr- und erlernbar ist. Handwerk eben.